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Mode, Mops und Moneten

von Audrey Teddington (Autor:in) Thomas Kowa (Autor:in)
©2019 0 Seiten

Zusammenfassung

Ein Mops aus London, seine tierischen Freunde und das große Chaos
Ein humorvoller Roman für Fans von David Safier und Moritz Matthies

Dieser Mops hat Stil, Charme und ziemlich kurze Beine. Und er hat eine Mission. Nämlich möglichst viele Leckerlis zu verputzen.
Okay, auch die Welt möchte er nebenbei noch retten. Und seine große Liebe. Seine erste Fashionshow sollte ebenfalls ein Erfolg werden. Und wenn alles schief geht, muss er sich bald auch noch um die Nachkommen seines hyperintelligenten Hamsterfreundes Turing kümmern.
Was also tun?
Erst mal ein Leckerli essen?
Lies doch einfach selbst ...

Erste Lesersimmen
„humorvoll drängt sich der kleine Mops ins Rampenlicht, herrlich erfrischend“
„ich habe den Roman innerhalb weniger Stunden verschlungen“
„Audrey Teddington hat einen phantastischen Schreibstil“
„Mops mit Charme und Stil mischt die Modewelt auf und ist dabei so witzig, dass ich das Buch gar nicht mehr weglegen konnte“
„Mehr davon! Dieser Roman hat alles, was ich von einem guten Buch erwarte: flüssiger Schreibstil, gute Charaktere, eine spannende Handlung und die richtige Portion Humor.“

Leseprobe

Über dieses E-Book

Dieser Mops hat Stil, Charme und ziemlich kurze Beine. Und er hat eine Mission. Nämlich möglichst viele Leckerlis zu verputzen.
Okay, auch die Welt möchte er nebenbei noch retten. Und seine große Liebe. Seine erste Fashionshow sollte ebenfalls ein Erfolg werden. Und wenn alles schief geht, muss er sich bald auch noch um die Nachkommen seines hyperintelligenten Hamsterfreundes Turing kümmern.
Was also tun?
Erst mal ein Leckerli essen?
Lies doch einfach selbst ...

Impressum

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Überarbeitete Neuausgabe April 2019

Copyright © 2019, dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-96087-665-6
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-766-0

Covergestaltung: ARTC.ore
unter Verwendung eines Motivs von
© Javier Brosch/shutterstock.com
Lektorat: Nadine Buranaseda

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2015 im Selfpublishing erschienenen Titels Hund Couture (ISBN: 978-1-51951-966-5).

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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Episode 1

Fettpolster sind die Muskeln der Dicken.

Hasso Lagerfield

1

Mein Name ist Hasso.

Hasso Lagerfield.

Und ich renne gerade um mein Leben. Deswegen kann ich mich leider nicht so ausführlich vorstellen, wie es die Höflichkeit einem britischen Mops normalerweise gebietet.

Nur eines, ganz kurz: Es hat gewisse Vorzüge, ein Mops zu sein, vom blendenden Aussehen angefangen über die zeitlose Eleganz bis hin zu beeindruckender Intelligenz.

Und es hat einige Nachteile, wobei mich momentan nur einer interessiert: meine kurzen Beine.

Jedenfalls sind sie kürzer als die der Deutschen Dogge, die mich gerade verfolgt: Arnold, dieser Neureichen-Hooligan, der – glaubt man den Gerüchten – schon einige Hunde auf dem Gewissen hat. Wenn mir nicht bald etwas einfällt, bin ich der Nächste.

Denn er ist nur noch drei Hundelängen hinter mir – und mit Hundelängen meine ich leider Mopslängen.

Wahrscheinlich könnte Arnold noch stundenlang so weiterrennen, jedenfalls kommt sein Schnaufen immer näher, präzise wie eine Maschine. Mein Hecheln hingegen wird immer hektischer. Kein Wunder, Arnold trainiert im Hundesportverein und ich nicht.

Selbst wenn ich es gewollt hätte, die hätten mich nie zur Aufnahmeprüfung zugelassen.

Denn wie es sich für einen ordentlichen Mops gehört, bin ich übergewichtig – neben meinen kurzen Beinen der Hauptgrund dafür, dass ich Arnolds Geifer inzwischen direkt in meinem Nacken spüre.

Hätte ich mich doch nicht in seine alte Wohnung im Londoner East End schleichen sollen?

Aber ich musste es einfach tun!

Kaum war ich in die Wohnung eingedrungen, öffnete Arnolds Herrchen die Tür, suchte nach ein paar Sachen und entdeckte stattdessen im Kleiderschrank einen Mops.

Sofort hetzte er Arnold auf mich.

Und der hat mich bis ans Ende des East End gejagt, vorbei an leer stehenden Modegeschäften, leer stehenden Ein-Pfund-Shops und vollen Wettbüros. Es wird jetzt fast ländlich, aber es bleibt eine trostlose Gegend, in der ich in wenigen Sekunden in die ewigen Mopsgründe eingehen werde.

Jetzt kann mir nur noch eine brillante Idee helfen – oder das Gatter des Bauernhofs vor mir.

Ja, es gibt noch Bauernhöfe in London, wenn auch nur am äußersten Ende des East End.

Mit letzter Kraft zwänge ich mich durch das Gatter und schaue gleichzeitig hinter mich, um zu sehen, wie es mir Arnold gleichtun will, denn er ist zwar stark, aber nicht sonderlich clever.

Zumindest war er das nicht in der Vergangenheit, denn jetzt springt er einfach über das Gatter und ist plötzlich neben mir.

Genau genommen sogar über mir.

Zwischen seinen scharfen Zähnen glaube ich die Reste eines Kätzchens zu erkennen. Vielleicht ist es aber auch dieses Luxushundefutter, das sich mein Frauchen nicht leisten kann.

Dann mache ich das, womit Arnold am wenigsten rechnet.

Ich bleibe stehen.

Neben liegen, schlafen und fressen kann ich das nämlich am besten.

Sollte man sich in Krisensituationen nicht auf seine Stärken besinnen?

Allerdings bin ich gar nicht deswegen stehen geblieben, sondern wegen des Stiers, der direkt vor uns mit den Hufen scharrt.

2

Das Revierverhalten jedes ordentlichen Stiers aktiviert man am zuverlässigsten, indem man in sein Gehege eindringt, was Arnold und ich offensichtlich getan haben.

Daran, dass wir einen mehr als ordentlichen Stier vor uns haben, darüber besteht kein Zweifel.

Arnold könnte das besser beurteilen als ich, denn im Gegensatz zu mir ist er nicht stehen geblieben. Und er tut es auch jetzt noch nicht, denn ein Eurostar hat nun mal einen längeren Bremsweg als ein Bummelzug.

Hinzu kommt: Wäre ich ein Stier, würde ich eine mit den Zähnen fletschende Dogge, die auf mich zurennt, eher als Bedrohung wahrnehmen als einen harmlosen und niedlichen Mops, der sich zudem gerade hinter einem Heuhaufen versteckt hat.

Von meinem Versteck aus kann ich leider nicht mit ansehen, wie der Kampf der beiden verläuft, aber den Geräuschen nach zu urteilen ist der Stier klar im Vorteil.

Am besten, ich bewege mich erst mal nicht von der Stelle. Das ist nebenbei bemerkt eine Taktik, mit der schon viele Unfälle, Fettnäpfchen und Weltkriege verhindert worden wären. Zudem gibt mir das die Gelegenheit, mich ausführlicher vorzustellen.

Mein Spitzname ist Longnose, obwohl ich – selbst wenn ich lüge – eine kürzere Nase als Pinocchio habe, wenn er ehrlich ist. Aber für einen Mops habe ich eben ein ziemlich langes Riechorgan. Denn ich bin ein Retromops und keiner dieser überzüchteten Hunde, die außer Atem geraten, wenn sie von der Couch zum Fressnapf laufen müssen, jedenfalls wenn die Distanz mehr als zwei Mopslängen beträgt.

Aber wahrscheinlich kennen Sie mich ohnehin, denn ich, Hasso Lagerfield, bin der größte Modemacher der Welt. Noch größer als dieser Mensch, der ganz ähnlich wie ich ausgesehen hat, jedenfalls wenn er sich ein wenig zurechtgemacht hat.

Aber es besteht ja wohl keine Frage, wer von uns beiden der Erste war, denn ich bin schon seit über fünfzig Hundejahren im Modegeschäft tätig.

Heute Abend veranstalte ich übrigens eine große Fashionshow in der Londoner Petropolitan Opera.

Nicht zu verwechseln mit der New Yorker Metropolitan Opera, noch so eine Kopie.

Viele Menschen sind irritiert, wenn ich sie über solche Gegebenheiten aufkläre. Was wohl daran liegt, dass die meisten Zweibeiner die Hundesprache nicht verstehen.

Dabei wäre es so leicht, aber die Menschen haben einfach keine Ahnung von kontextsensitiver Kommunikation!

Wenn ein elegantes Mopsmodel an mir vorbeistolziert, kultiviert seinen Schwanz hebt und mich frivol anlächelt, heißt ein »Wuff, Wuff« von mir beispielsweise: »Baby, ich bin gleich bei dir.«

Wenn mir jedoch Arnold gegenübersteht, heißt dasselbe »Wuff, Wuff«: »Ich glaube, ich mache mir in die Hose.«

Womit wir bei meiner Mission wären. Und bei meinem Problem. Aber zuerst zu meiner Mission: den Hunden Hosen geben.

Das mag absurd klingen, gerade für Menschen, aber stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Richter, und vor Ihnen säßen zwei Angeklagte. Zum einen ein Mensch, piekfein in Anzug und Schlips. Und zum anderen ein nackter Mops, der sich während der Verhandlung an den Eiern leckt. Wem würden Sie glauben? Und wen für intelligenter halten?

Eben.

Dabei würden sich – wie die Forschungsgruppe Wauen kürzlich herausgefunden hat – siebenundachtzig Prozent der männlichen menschlichen Bevölkerung selbst an den Eiern lecken, wenn sie es denn könnten.

Völlig zu Recht übrigens, aber ich will jetzt hier niemanden neidisch machen. Denn unsere größte Gabe ist gleichzeitig auch unser größtes Problem.

Wir sind nämlich viel zu schnell zufrieden. Schlechten Tag gehabt? Egal, ein wenig an den Eiern lecken, dann ist das schnell wieder vergessen.

Außerdem fehlt uns Hunden die Herausforderung! Für ein ordentliches Hundeleben reicht es nämlich schon aus, ein Herrchen oder Frauchen zu finden, das einem die Mahlzeiten spendiert. Fertig. Man muss nichts studieren, arbeitslos kann man auch nicht werden, selbst die Steuern werden für uns bezahlt, und am Ende müssen wir nicht mal einen Rentenantrag einreichen.

Als Gegenleistung wird von uns nur verlangt, dem Herrchen oder Frauchen ein wenig um die Beine zu schwänzeln, es bei seinen so zahllosen wie ziellosen Spaziergängen zu begleiten und erfreut zu bellen, wenn es nach Hause kommt. Was gar nicht gespielt sein muss, denn das bedeutet meistens, dass Fressen im Anmarsch ist.

Bei der menschlichen Gattung führen höchstens einige blondierte weibliche Exemplare bei ihren Herrchen ein so privilegiertes Leben wie unsereins.

Ich hab zwar keine Ahnung, welche Gegenleistung die Frauen dafür erbringen, aber wenn man sich die Umfrage von vorhin anschaut, habe ich zumindest einen Verdacht.

Menschen sind im Grunde ja auch nur Hunde, denen zwei Beine fehlen.

Davon abgesehen verbietet mir die Abscheu vor den menschlichen Abgründen sowohl bei Tier als auch bei Mensch von Rassen zu sprechen, weswegen ich mich lieber an das Wörtchen Gattung halte.

Was ja auch viel mehr mit Begattung zu tun hat.

Dem Sinn des Lebens.

Den der Mensch immer noch nicht gefunden hat und glaubt, er läge darin, möglichst viele Rolex-Uhren, Porsche-Cabrios und Fußballweltmeisterschaftstitel anzuhäufen.

Womit wir zu meinem Problem kommen. Aber da die Aufmerksamkeitsspanne der Gattung Mensch extrem kurz ist, schildere ich das besser im nächsten Kapitel.

3

Doch zuerst muss ich mal schauen, was Arnold und der Stier so treiben, denn von meinem Heuhaufen aus höre ich keine Kampfgeräusche mehr, sondern nur noch ein leises Winseln.

Ich strecke meine Nase aus der Deckung, also im Grunde meinen ganzen Kopf, kann die beiden jedoch nicht entdecken. Gut, dann sind sie auch nicht in meiner Nähe.

Vorsichtshalber bleibe ich hinter dem Heuhaufen sitzen und richte mir das Jackett. Da ich auf meiner Mission mit gutem Beispiel vorangehen muss, gehe ich nie ohne Maßanzug, Sonnenbrille und Vatermörder aus dem Haus. Letzteres ist übrigens ein Stehkragen – nur falls Sie nicht vom Fach sind.

Außerdem kann ich ja nie wissen, ob ich sie treffe.

The most sexy Pudeldame der Welt, Victoria von der Tann. Die Liebe meines Lebens. Und gleichzeitig mein größtes Problem. Denn leider wohnt sie bei Arnold. Weswegen ich in seiner ehemaligen Wohnung war. Denn kaum waren seine Proletenherrchen durch irgendwelche obskuren Geschäfte zu Geld gekommen, wurde ihnen das East End zu proletarisch, und sie sind ins West End gezogen, Londons Nobelviertel.

Arnold haben sie mitgenommen, so weit, so gut.

Doch leider musste auch Victoria mit.

Sie war gerade erst bei Arnolds Herrchen eingezogen, weswegen ich noch keine Gelegenheit hatte, mich vorzustellen.

Trotzdem hat sie mich sofort umgehauen, als hätte Amor mit einer Stalinorgel Pfeile auf mich geschossen.

Okay, das war vielleicht nicht der romantischste Vergleich, aber Liebe macht eben nicht nur blind, sondern auch wirr im Kopf.

Und mit diesem wirren Kopf muss ich Victoria nun finden, am anderen Ende der Stadt.

Nur wo genau, das weiß ich nicht.

Angeblich sehen sie von ihrer Wohnung aus die Westminster Abbey, aber das kann auch nur die übliche Angeberei von Arnolds Herrchen gewesen sein.

Deswegen wollte ich in der ehemaligen Wohnung die Fährte von Victoria aufnehmen und so ihre neue Bleibe finden. Ich habe alles genau geplant: Ich treffe sie zufällig dort und lade sie auf meine heutige Fashionshow ein, als Höhepunkt bekommt sie ein eigens für sie geschneidertes Kleid, sie ist schwer beeindruckt, verliebt sich unsterblich in mich, Happy End.

Stattdessen sitze ich hinter einem Heuhaufen und lecke mir die Eier. Tja, so viel zur Psychologie des Hundes. Ja, meine Hose hab ich ausgezogen, das würde sonst ja schlecht funktionieren.

Verdammt, dieses ewige Verdrängen muss endlich aufhören!

Doch momentan weiß ich einfach nicht weiter.

Ursprünglich hatte ich gedacht, ich könnte mich bei meiner Suche nach Victoria an Arnold orientieren, doch der riecht dermaßen nach Testosteron, dass ich trotz meiner feinen Nase jedes Mal bei irgendwelchen gedopten Bodybuildern landete, wenn ich seiner Spur folgte.

Und sein Frauchen und sein Herrchen tragen beide Parfüms von Mandarina Dog, die so penetrant und so angesagt sind, dass ihr Aufenthaltsort unmöglich zu erschnuppern ist.

Gerüchten zufolge leben noch ein paar Reptilien bei Arnolds Herrchen, doch da ich diese Dinger noch nie in freier Natur gesehen habe, weiß ich nicht im Geringsten, wie sie aussehen, für was sie gut sind und wie sie riechen.

Ich weiß nicht mal, ob Arnold und Victoria ein Paar sind.

Zumindest sind sie nicht verheiratet.

Wobei ich noch nie von einem Hund gehört habe, der den Bund der Ehe eingegangen ist. Oder auch nur monogam lebt.

Monogamie ist ja auch völlig unnatürlich.

Davon war ich jedenfalls bis zu dem Moment überzeugt, an dem ich Victoria zum ersten Mal gesehen habe.

Inzwischen bin ich selbst am Zweifeln. Haben die Menschen hier vielleicht doch ein ganz cleveres Konzept entwickelt, von dem selbst wir Hunde lernen können? Vielleicht sollte ich in der Geschichte ein wenig zurückgehen und erklären, wie Monogamie überhaupt entstanden ist.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der je hundert Frauen und Männer leben, wie ein klassisches Dorf der Antike. Nun gibt es unter den hundert Männern einen besonders attraktiven, starken, potenten Mann, nennen wir ihn Arnold. Sie selbst leben auch in diesem Dorf, sind männlich, befinden sich aber eher am anderen Ende der Attraktivitätsskala und – gäbe es die Forschungsgruppe Wauen schon, wüssten Sie, dass bei freier Wahl von den hundert Frauen fünfundneunzig mit Arnold in die Kiste springen würden.

Die verbleibenden fünf Frauen würden lieber Single bleiben oder sich miteinander vergnügen anstatt mit Ihnen. Und den restlichen Männern geht es auch nicht besser, es macht eben keinen Unterschied, ob man einen Lada, einen Fiat oder einen Seat fährt, wenn ein Ferrari im Rennen ist.

Jetzt könnte Arnold natürlich freiwillig auf all die Frauen verzichten, aber warum sollte er das tun? Biologisch ist er locker in der Lage, alle Frauen zu begatten, und die Ehe ist noch nicht erfunden. Spätestens nach drei Monaten ist er mit allen Frauen durch, hat hundert Kinder gezeugt und kann weiter ins nächste Dorf ziehen.

Ein klarer Evolutionsgewinner.

Nun könnten Sie Arnold vorher erschlagen, aber das wäre brutal und illegal, außerdem gibt es noch andere attraktive Männer im Dorf, jedenfalls attraktivere als Sie.

Dennoch gibt es eine Lösung: Sie erfinden einfach eine Religion und stellen als oberste Regel auf, dass jeder Mann nur eine Frau haben darf.

So bekommt Arnold zwar immer noch die heißeste Braut zur Frau, wenn sie denn will, aber alle anderen bleiben den restlichen Männern vorbehalten und verteilen sich schön gleichmäßig.

Zwar kann Arnold immer noch ein oder mehrere Verhältnisse mit anderen Frauen anfangen, aber sollten Sie ihn dabei erwischen, können Sie ihn ja nun erschlagen lassen. Klar, das ist nach wie vor brutal, aber jetzt legal, und Sie müssen sich nicht mal selbst die Finger schmutzig machen.

Jedenfalls wenn Sie der Religionsführer sind. In dem Fall wird Arnold Ihre Frau übrigens ganz bestimmt in Ruhe lassen.

Allerdings scheinen die Menschen inzwischen vergessen zu haben, wie es zu diesen Monogamie-Religionen gekommen ist. Denn bei einigen haben sich so absurde Regeln wie das Zölibat herausgebildet, was der ursprünglichen Zielsetzung der Monogamie komplett entgegensteht. Wohl auch deshalb führt das Zölibat bei einigen Exemplaren der Priestergattung zu sehr unhündischen Verhaltensweisen, die ich mich gar nicht zu schildern traue.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass die Religionen nicht vom Menschen erschaffen wurden, sondern von Gott. Aber wenn es einen Gott gibt, der alle Männchen, ob nun Mensch oder Tier, so erschaffen hat, dass sie mehrere Weibchen in kurzen Zeitabständen beglücken können, warum sollte er dann gleich als Nächstes ein Gesetz einführen, welches uns das wieder verbietet?

Gerade wenn Gott allwissend und allmächtig ist, hätte er doch wissen müssen, dass so etwas nur Probleme schafft.

Da hätte er uns gleich doof wie die Hühnerküken erschaffen können, die – kaum schlüpfen sie aus dem Ei – exakt dem – und nur dem – hinterherlaufen, was sie als Erstes entdecken.

Und sei es ein alter Turnschuh. Das ist wahre Monogamie, nur wurde sie für intelligentere Lebensformen als Hühner – und das ist so ziemlich jede Spezies auf dem Planeten – von der Natur nicht vorgesehen.

Tja, und in der Natur gilt nun mal das Recht des Stärkeren. Und damit komme ich noch kürzer, als ich ohnehin schon bin.

Also sollte ich für Monogamie sein.

Selbst wenn das gegen meine Natur ist.

Aber für Victoria würde ich eben alles tun.

Ständig muss ich an ihre zarten Pfötchen denken, ihr strahlend weißes Fell, ihre schwarze Stupsnase, ihre endlosen Beine, jedenfalls für eine Pudeldame, ihr Becken, rund wie eine Kloschüssel, und ihre ordentlichen Reserven auf den Rippen. Die sind wichtig, damit Victoria, wenn sie irgendwann meine Nachkommen gebärt, nicht hinterher in eine postnatale Depression fällt, falls sich herausstellt, dass ich wie alle Mopsmänner doch nur ein Schwein bin.

Doch damit ich mir und ihr das Gegenteil beweisen kann, muss ich Victoria erst wiederfinden.

Leider habe ich ihren Duft in der alten Wohnung nicht entdecken können, obwohl ich sie zweimal durchgeschnüffelt habe, bis Arnold kam. Wahrscheinlich hat Victoria nicht lang genug darin gewohnt, oder aber die anderen penetranten Gerüche verdecken ihr zartes Odeur.

Jetzt erst fällt mir ein, dass mir nur noch einer helfen kann: Arnold.

Denn wenn er vor mir herläuft, brauche ich ja nicht seinem Geruch zu folgen, sondern nur ihm.

Weswegen er die Konfrontation mit dem Stier besser überleben sollte, wonach es allerdings nicht gerade klingt.

Es sei denn, Stiere können winseln.

Nein, im Ernst, ihm kann nur noch einer helfen.

Ich.

Ist ja ansonsten auch niemand da.

4

Ich folge dem Winseln in die dunkelste Ecke des Hofes. Mit jedem Yard, den ich ihm näher komme, klingt es verzweifelter.

Falls Sie wie der durchschnittliche Festlandeuropäer keine Ahnung haben, wie viel ein Yard ist, dann können Sie das jetzt bei mir lernen. Ein Yard entspricht der Größe eines Schrittes, exakt drei Fuß, genau 36,0 Inch oder 91,44 Zentimeter.

Sie können sich auch einfach merken: Yard ist gleich Meter, damit liegen Sie meist richtig.

Außer, Sie entwerfen das Hubble-Weltraumteleskop und rechnen die Maßeinheiten falsch um, dann sollten Sie es schon genauer nehmen.

Wie soll ich gegen den Stier kämpfen, wenn ihm schon Arnold hoffnungslos unterlegen ist?

Ich weiß nicht, was Sie über Möpse wissen, aber man unterscheidet Hunde weltweit nach sieben Gattungen: Jagdhunde wie den Bluthund, Sporthunde, zum Beispiel den Windhund, dann Arbeitshunde wie die Deutsche Dogge, weiterhin Terrier, darunter Kampfhunde wie den Bullterrier, Herdenhunde wie den Schäferhund und andere, zwar weniger sportliche, aber trotzdem nützliche Hunde wie den Husky. Und dann gibt es noch die sogenannte Toy Group, wörtlich übersetzt Spielzeughunde. Dreimal dürfen Sie raten, zu welcher Gruppe der Mops gehört.

Nein, wir sind keine Jagdhunde, und bei Sport halten wir uns an Churchill, der das zu Recht für Mord hielt. Kein Wunder, er sah auch aus wie ein Mops, weswegen ihn seine Frau auch Pug nannte, tja, und was das heißt, sagt Ihnen jedes englische Wörterbuch.

Doch trotz Churchill sind wir für den Menschen nur Spielzeughunde. Evolutionsbiologisch stehen wir also auf einer Stufe mit dem Legostein!

Zusammen mit uns in der Toy Group sind so merkwürdige Exemplare wie der Affenpinscher und das italienische Windspiel. Das klingt jetzt ja wohl eher nach einem Terrassenmöbel als nach einer Hundeart. Und ausgerechnet der Dackel ist ein Jagdhund, wir aber nicht!

Also muss ich mal wieder ganz allein die Ehre der Möpse verteidigen.

Wir haben nämlich genau wie Churchill überragende diplomatische Fähigkeiten, besitzen trotzdem einen Dickkopf und können gleichzeitig fressen und schlabbern. Obwohl, beim letzten Punkt weiß ich nicht, ob Churchill das auch konnte, aber da entscheide ich gerne zu seinen Gunsten.

Er wäre bestimmt ein hervorragender Schlabberer gewesen!

So beeindruckend diese Fähigkeiten fraglos sind, sie nützen mir leider überhaupt nichts, um den Stier zu besiegen.

Zumal es sich gerade so anhört, als käme das Winseln auf mich zu.

Was wir Möpse übrigens besonders gut können, ist um den heißen Brei herumreden. Schließlich muss eine Sache genau erläutert sein, bevor man in Erwägung ziehen könnte, eine Entscheidung zu …

Autsch! Das muss verdammt wehgetan haben!

Der Stier ist nämlich gerade um die Ecke gebogen und hat Arnold auf die Hörner genommen. Jaulend verkriecht sich Arnold in eine Ecke, der Blick des Stiers folgt ihm und entdeckt dabei … nicht Amerika, sondern mich.

Hatte ich schon erwähnt, dass ich einen roten Anzug trage?

Jetzt mögen ein paar Besserwisser einwenden, dass Stiere nicht auf Farben reagieren, sondern auf Bewegung, aber würden Sie stehen bleiben, wenn ein fuchsteufelswilder Stier geradewegs auf Sie zustampedete?

Ich weiß, das Wort gibt es nicht, aber man sollte es schleunigst erfinden, denn genau so fühlt es sich gerade an.

5

Der Mensch unterschätzt ja alle Tierarten, mit Ausnahme der wirklich doofen Hühner. Daher glaubt er, wir Tiere seien triebgesteuert: Wir gäben ständig unserem Fresstrieb nach, hätten einen ungezügelten Sexualtrieb, und wenn die Luft dick ist, folgten wir einfach unserem Fluchttrieb.

Und er hat recht.

Alles andere wäre ja auch total bescheuert. Der Mensch ist übrigens nicht anders, ich jedenfalls hab noch keinen gesehen, der eine verführerisch duftende italienische Pizza direkt aus dem Holzofen stehen lässt und lieber verhungert. Okay, manche Menschen behaupten, sie leben ausschließlich von Lichtenergie.

Also von Lightprodukten.

Falls Sie den Witz nicht verstanden haben, sollten Sie sich jetzt wirklich mal ein Englischwörterbuch kaufen, so lernen Sie wenigstens noch was neben der Lektüre.

Nein, im Ernst, wer behauptet, von Lichtenergie zu leben, der ist entweder ein Betrüger mit einem Geheimfach im Kühlschrank oder so senil, dass er jede Mahlzeit noch während des Verzehrs vergisst.

Und wenn ich mir die ganzen Bezirke mit den roten Laternen und der hohen Kampfhundedichte so anschaue, scheint der Sexualtrieb des Menschen auch recht ausgeprägt zu sein. Bei anderen hingegen scheint der Fluchttrieb besonders entwickelt zu sein, jedenfalls wenn diese Autos mit den blauen Lichtern durchs Viertel fahren.

Den Zweck von diesen Blaue-Lichter-Autos habe ich übrigens noch nicht verstanden. Die Menschen meinen jedenfalls, sie kämen nie, wenn man sie braucht, sondern immer dann, wenn man sie gerade nicht braucht. Müssen so was Ähnliches sein wie Versicherungsvertreter.

Wie auch immer, mein Fluchttrieb ist gerade recht stark ausgeprägt, und dass ich noch nicht vom Stier zermalmt worden bin, ist nur der Tatsache geschuldet, dass wir Hunde multitaskingfähig sind. Wir können nämlich gleichzeitig denken, rennen und pinkeln.

Gut, dass ich vorhin meine Hose ausgezogen habe. Das widerspricht übrigens nicht meiner Mission, denn auch die Menschen ziehen ja die Hosen aus, wenn sie ihre Notdurft verrichten. Jedenfalls wenn sie nicht volltrunken sind.

Ich weiß jetzt nicht, ob Sie Der Wendekreis des Krebses von Henry Miller gelesen haben, ist eigentlich auch irrelevant, denn hier geht es um den Wendekreis des Mopses, und der ist definitiv geringer als der eines Stiers. Jedenfalls wenn dieser gerade in einer bemerkenswert großen Urinlache ausrutscht, mit voller Wucht an die hölzerne Wand des Schweinestalls kracht und mit seinen Hörnern darin hängen bleibt.

Da sich Letzteres schnell ändern kann, beschließe ich ausnahmsweise, ein wenig Gas zu geben, zumal von Arnold gar nichts mehr zu hören ist, nicht einmal ein erbärmliches Winseln. Ich sprinte in die Ecke, in die er sich verzogen hat, was mit meinen kurzen Beinen ein wenig dauert, weswegen ich mir derweil ein paar Gedanken machen kann.

Was, wenn Arnold tot ist?

Wird dann in seinem Neureichenhaushalt eine Stelle als Wachhund frei? Ich wäre dafür zwar so unqualifiziert wie ein Politiker für die freie Wirtschaft, aber bei denen klappt das ja trotzdem relativ gut. Jedenfalls die ersten drei Tage, bis auch der Letzte merkt, was man sich da für einen Vollpfosten ins Haus geholt hat.

Klingt nach einem tollen Plan, denn drei Tage würden mir sicher reichen, um mit Victoria über alle Berge zu sein.

Wobei es in London ja nicht allzu viele Berge gibt.

Aber ein Mops mit meinen Fähigkeiten kann ja überall hin. Das Tolle ist nämlich, dass es bei uns Hunden keine babylonische Sprachverwirrung gab und wir in Paris, Tokio oder London alle die gleiche Sprache sprechen.

Es hat nämlich auch Vorteile, wenn das Hirn etwas einfacher strukturiert ist. Der Mensch hingegen verkompliziert mit seinem Denken in Nationen, Klassen und Automarken die Welt unnötig. Und genauso spricht er auch. Englisch in England, Griechisch in Griechenland und Portugiesisch in Brasilien.

Das soll einer verstehen!

Endlich komme ich in Arnolds Ecke an und sehe sofort, dass er reglos auf dem Boden liegt, den Hals hundeuntypisch frei dargeboten. Wäre ich jetzt ein Kampfhund, hätte sein letztes Stündlein geschlagen. Aber ich bin ja zu seinem und meinem Glück ein Mops.

Mit meiner Pfote fühle ich Arnolds Puls. Er schlägt noch, wenn auch unfassbar langsam. Jedenfalls für meine Verhältnisse. Wahrscheinlich schlägt ein sportliches Doggenherz ein wenig gemächlicher als Pock-Pock-Pock-Pock-Pock.

Arnold ist also am Leben, aber bewusstlos. Da es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich der Stier befreit, muss ich meinen Hundekollegen sofort hier wegschaffen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Wahrscheinlich besitzt Arnold selbst in seinen Ohrläppchen mehr Muskelmasse als ich am ganzen Körper. Für was brauche ich auch Muskeln? Die wollen bloß bewegt werden und benötigen unnötig Energie, die viel besser in ein ausgedehntes Mittagsschläfchen investiert ist.

Ich überlege kurz, meine Freunde Sunny und Turing zu Hilfe zu rufen, doch ich bezweifle, dass eine kleptomanische Elster und ein fresssüchtiger Hamster bei dem vor mir liegenden Problem helfen können. Wahrscheinlich würden sie nur dumme Sprüche klopfen, und bei aller Liebe, das kann ich selbst am besten.

Trotzdem, die Ausgangslage ist klar: Wir haben auf der einen Seite ein bewegungsloses Muskelpaket und auf der anderen Seite ein muskelloses Mopspaket. Und was macht das Mopspaket da?

Ganz einfach, Bewegung in das Muskelpaket bringen. Nun weiß ich aus eigener, leidgeprüfter Erfahrung recht genau, wo bei einem Rüden die empfindlichsten Stellen sind. Da ich jedoch kein Unhund bin, lasse ich Arnolds Klöten links liegen und postiere mich exakt am hintersten Ende seines Hundeschwanzes.

Im Augenwinkel sehe ich gerade noch, wie der Stier eines seiner Hörner aus der Stallwand zieht, nehme Arnolds Schwanzende zwischen meine Zähne, will gerade zubeißen – und dann geht alles viel zu schnell.

Arnold erwacht, noch bevor ich zubeißen kann, und blickt mich an, als hätte ich ihm tatsächlich in die Klöten gebissen. Ich erschrecke, was nicht wirklich clever ist, wenn man den Schwanz eines deutlich stärkeren Hundes zwischen den Zähnen hat. Denn wir Tiere verfügen nicht nur über Triebe, sondern auch über Reflexe.

Wie zum Beispiel den Beißreflex.

6

Hunde haben ja ein weiteres Blickfeld als Menschen, daher kann ich gleichzeitig erkennen, dass der Stier sein zweites Horn aus der Stallwand zieht und dass Arnold meinen Biss nicht als Lebensrettungsmaßnahme deutet, sondern als Selbstmordkommando. Jedenfalls interpretiere ich seine fletschenden Zähne so, die nach mir schnappen.

Nun haben wir ja schon mehrfach festgestellt, dass Möpse eher gemächlich sind, aber hier und jetzt nehme ich echt die Beine in die Pfoten und sprinte am immer noch etwas belämmerten Arnold vorbei in den Hof. Also genau dorthin, wo der Stier schon auf mich wartet. So in etwa muss sich Polen im Zweiten Weltkrieg gefühlt haben, von zwei Großmächten bedrängt und schon aufgeteilt, bevor der Kampf überhaupt begonnen hat.

Man sagt über uns Möpse, wir seien so mutig wie arglos und würden daher Gefahrensituationen häufig unterschätzen, doch ich weiß gar nicht, was ich an dieser Situation unterschätzen soll!

Hätte ich mich nicht vorhin schon aus Angst erleichtert, würde ich es jetzt glatt nachholen.

Da ich die Beine nun aber schon mal in die Pfoten genommen hab, renne ich einfach weiter, zwischen den Hufen des Stiers hindurch.

Das sieht in etwa so aus, als tunnelte Lionel Messi beim Fußball Vinnie Jones. Wer Letzteren nicht kennt: Der Kerl ist eine Mischung aus Hans-Peter Briegel und einem Nilpferd und hält den Rekord für die schnellste Gelbe Karte der Fußballgeschichte – nach nur drei Sekunden Spielzeit.

Und er kann ziemlich wild werden, wenn man ihn tunnelt.

Der Stier ist so verdutzt, dass Arnold ihn kurzerhand auch noch tunnelt.

Was nicht gerade zur Beruhigung des Stiers beiträgt. Seine Augen funkeln blutunterlaufen, seine Nüstern blähen sich auf, und er stürmt auf uns zu.

Ich hole alles raus, was in meinen kleinen Beinchen drin ist, renne zum Gatter, und kurz bevor Arnold bei mir ist, zwänge ich mich hindurch.

Arnold springt über das Gatter, der Stier stoppt abrupt und bleibt wutschnaubend dahinter stehen. Er scharrt mit den Hufen und beschimpft uns als blöde Kühe. Dabei könnte er glücklich sein, denn jetzt hat er sein Revier ja wieder für sich.

Na ja, wenn er erst mal ein Steak ist, hat er den Vorfall eh vergessen.

Doch schon im nächsten Moment spüre ich erneut Arnolds mechanisch-präzises Atmen in meinem Nacken, und wir sind wieder exakt an dem Punkt, an dem wir schon am Anfang der Geschichte waren.

Hätte ich Ihnen natürlich auch gleich sagen können, aber wir hatten ja trotzdem eine spaßige Zeit zusammen, oder?

Okay, Arnold mag das anders sehen, jedenfalls bellt er mir Schimpfwörter an den Kopf, die ich mich zu wiederholen außerstande sehe.

Davon abgesehen, sich selbst ins Knie? Wie soll das gehen?

Ich rufe mir erfolgreiche Fluchttaktiken anderer Tiere in Erinnerung, beschließe, dass mit dem Kopf durch die Wand rennen vielleicht für Nashörner erfolgreich sein mag, aber nicht für Möpse, und schlage daher lieber Haken wie ein Hase. Also wie ein Hase im Mopskostüm, bei dem man drei Pflastersteine dazugepackt hat, doch Arnold scheint noch immer ein wenig belämmert zu sein, jedenfalls läuft er stur geradeaus.

Bis diese Laterne kommt, der ich im letzten Moment galant ausweiche und Arnold nicht.

Und so fällt er zum zweiten Mal an diesem Tag in Ohnmacht.

Das hatten wir ja schon.

Irgendwie komme ich nicht so recht voran.

Wenn ich Victoria heute noch auf meine Fashionshow einladen will, werde ich das ohne Hilfe wohl kaum schaffen.

7

Verzweifelt blicke ich mich um. Andere Hunde, die mir helfen könnten, sind weit und breit nicht in Sicht.

Dafür läuft ein jüngeres Menschenpärchen auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig in meine Richtung. Das könnte eine Chance sein.

Es ist nämlich ein typisches Zeichen menschlicher Arroganz, dass noch nie ein Hund einen Oscar gewonnen hat. Jedenfalls würde ihn jeder Schauspieler, der unseren Hundeblick nur halbwegs hinbekäme, auf Lebenszeit verliehen bekommen.

Wer daran und an der Hunde-Intelligenz im Allgemeinen zweifelt, für den habe ich eine kleine Denksportaufgabe: Der Mensch steht morgens früh auf, arbeitet den ganzen Tag und kommt abends erschöpft nach Hause. Und alles nur, damit er etwas zu essen hat und ein Dach über dem Kopf. Kauft er als Ruhestätte ein Haus, muss er sich häufig sogar verschulden und noch mehr arbeiten, viele tun das auch für das Auto, das sie brauchen, um zur Arbeit zu fahren.

Und was macht stattdessen sein Hund? Tja, ein paar patentierte Blicke und er bekommt Essen und Dach über dem Kopf umsonst, ohne Arbeit, ohne frühes Aufstehen und ohne Schulden.

Das Tolle an dieser Denksportaufgabe ist, dass Sie gar nichts zusammenrechnen müssen, denn Sie merken instinktiv, wer cleverer ist.

Ergo lege ich mich neben Arnold und zerre winselnd an seinem Hundehalsband, als wolle ich ihn nach Hause schleppen. Ich schaffe es nicht mal, ihn einen Tick zu bewegen, und es sieht völlig erbärmlich aus.

Genau das soll es auch.

Das Menschenpärchen ist jetzt fast auf meiner Höhe, aber nach wie vor auf dem gegenüberliegenden Gehweg. Ich winsle noch lauter und noch jämmerlicher, sodass ich glatt selbst mit mir Mitleid bekomme.

Endlich bemerkt mich das Weibchen. »Schau mal«, sagt sie. »Der Mops hat ein rotes Jackett an. Wie putzig!«

Putzig? Wir kämpfen hier um unser Leben. Also Arnold um sein Leben und ich um die Liebe!

Der Mann sagt natürlich nichts, kein Wunder, Arnold kann man nun wirklich nicht putzig finden, und ich bin halt mehr der Frauentyp.

»Ich glaube, der Große hat was«, sagt sie und läuft über die Straße in meine Richtung. Na ja, nicht gerade Schnellmerker, diese Menschen, aber das bin ich ja gewohnt.

Der Mann schüttelt den Kopf, folgt ihr aber. »Rosy! Die spielen nur!«

»Hallo? Sieht das wie Spielen aus? Mein Kollege hier ist bewusstlos!«, belle ich, aber natürlich versteht mich niemand. Und es kommt noch schlimmer. Verschreckt durch mein Bellen bleiben die beiden vor dem Gehweg stehen.

Jetzt kann nur noch mein patentierter Hundeblick helfen.

Ich lasse Tränenflüssigkeit in meine Augen fließen, ziehe die Mundwinkel nach unten und denke daran, wie ich im Alter von zwei Monaten beinah verhungert wäre, weil mich mein Frauchen aus Versehen in den Schrank gesperrt hatte.

Method-Acting nennt man das, ein geheimer Trick der besten Hollywuff-Schauspieler.

Der Trick wirkt so gut, dass ich jedes Mal Heißhungerattacken bekomme, wenn ich ihn anwende.

Okay, ich bekomme auch sonst ziemlich häufig Heißhungerattacken, eigentlich jede Viertelstunde, aber mit Method-Acting sind sie besonders intensiv.

Es war aber auch furchtbar damals, ich noch ein kleiner hilfloser Welpe, eingesperrt in einem Schrank. Vor lauter Hunger hatte ich schon eine halbe Lederjacke verspeist, war am Ende meiner Kräfte, als sich endlich, endlich die Tür geöffnet hatte.

Das waren die längsten fünf Minuten meines Lebens!

Jedes Mal, wenn ich daran denke, würde ich am liebsten theatralisch losheulen, aber Hunde können ja nicht weinen. Doch mein Auftritt ist auch ohne Tränen oscarreif.

»Wir müssen den beiden helfen!«, sagt jedenfalls die Frau namens Rosy, kommt mir die letzten Yards auf dem Gehweg entgegen, beugt sich zu mir herab und streicht mir über den Kopf.

Ich mische noch eine Portion Hilflosigkeit in meinen Blick, und sie ist verloren.

»Ich glaube, die Dogge ist bewusstlos«, sagt nun der Mann, als könne er damit noch irgendetwas ändern.

»Der putzige Mops will sie bestimmt nach Hause bringen«, erwidert Rosy, denn ich ziehe gerade wieder an Arnolds Halsband. »Warte mal, da ist etwas.« Sie nimmt das Halsband und öffnet eine münzgroße Metallschatulle, die daran befestigt ist. »Da steht eine Adresse!«, ruft sie. »Eine Familie Wilkinson im West End.«

Genau auf so eine Information habe ich gehofft. Klar, besäße ich Daumen, hätte ich die Schatulle auch selbst aufmachen und die Adresse lesen können.

Wenn ich denn in der Hundeschule in Lesen aufgepasst hätte. Aber ich hatte natürlich Besseres zu tun, wie zum Beispiel die Dackeljungs in der Klasse zu ärgern oder mich von den frühreifen Colliemädchen in der Schule der Liebe unterrichten zu lassen. Jedenfalls hab ich von ihnen mehr über das Leben gelernt als in der Hundeschule. Im Übrigen haben selbst die größten Streber bei uns das mit dem Lesen nicht geschafft, offensichtlich ist das mehr so ein Menschending.

Nur Elstern können auch lesen, wie Sunny, meine kleptomanische Freundin. Elstern sind ja auch sehr geschwätzig, und so lasse ich Sunny ab und an die Zeitung vorlesen, sodass ich immer auf der Höhe der Zeit bin und mir nicht ständig ihre Lästereien über andere Elstern, noch schlimmere Vögel und sonstiges Gewürm anhören muss.

»Eigentlich müssen wir weiter«, sagt der Mann.

»Robert!« Rosy blickt den Mann an, als habe er gerade die Scheidung eingereicht. »Du bist sicher meiner Meinung, dass wir die beiden sofort nach Hause bringen, oder?«

Robert seufzt noch kurz, doch er weiß natürlich, wer in diesem Rudel die Hosen anhat, und so geht er in die Hocke und hebt Arnold vom Boden auf.

Rosy beugt sich nun wieder näher zu mir. »Und du wohnst auch bei den Wilkinsons?«, fragt sie.

Ich antworte mit »Ja!«, aber Rosy versteht natürlich nur »Wuff!«.

»Wir haben gleich um die Ecke geparkt«, sagt sie nun zu mir. »Komm einfach mit.«

Es zeigt sich immer wieder, Frauen sind einfach die besseren Menschen. Also immer noch kein Vergleich mit uns Hunden, aber es geht schon mal in die richtige Richtung.

Trotzdem sind meiner Meinung nach Menschen ziemlich schizophren. Sie verstehen kein Wort von dem, was wir sagen, erwarten aber, dass wir sie verstehen.

Zum Glück können wir Hunde das tatsächlich, und so folge ich den beiden zu einem Mercedes-Cabrio.

Cool, ich wollte schon immer mal Cabrio fahren.

Mein altes Frauchen hat ja nicht mal ein Auto.

Und schon ist es geschehen, und ich muss an Audrey denken. Neunzig, aus noblem Haus, aber zu gutgläubig und daher völlig verarmt. Ihre Rente reicht nicht mal zum Überleben, jedenfalls nicht für uns beide. Und das, obwohl ich mich schon überall durchschnorre und mindestens achthundertvierzig Knochenschuldscheine bei anderen Hunden unterschrieben habe, um nicht zu verhungern.

Was, wenn mich Arnolds Herrchen und Frauchen wirklich bei sich aufnehmen?

Würde ich Audrey nicht das Herz brechen?

Wenn ich nicht jeden Abend Punkt fünf Uhr zum Tee neben ihr liege, bekommt sie doch einen Nervenzusammenbruch!

Wäre ich jetzt ein Mensch, würde ich nun auf die Uhr blicken, aber so schaue ich nur kurz, wo die Sonne gerade steht, und weiß auch so, mir bleiben nur noch zwei Stunden bis dahin.

Das könnte ein wenig knapp werden!

8

Offensichtlich gelten die Verkehrsregeln für Mercedes-Fahrer nicht, jedenfalls kommen wir schneller im West End an, als ich mir überlegen kann, was ich nun tun soll.

Schließlich ist es trotz meiner Verführungskünste und meines blendenden Aussehens recht unwahrscheinlich, dass sich eine Klassefrau wie Victoria auf den ersten Blick in mich verliebt und sofort mit mir abhaut.

Zumal Audrey zwei Hunde auf gar keinen Fall durchfüttern kann.

Und da Victoria von der Tann aus adeligem Haus stammt, wird sie eher auf die große Liebe verzichten als auf ihre Privilegien.

Wer das nicht glaubt, sollte sich mal die Geschichte des englischen Königshauses anschauen.

Oder sich von Sunny vorlesen lassen.

Vor einem viktorianischen Herrenhaus, von dem aus man tatsächlich den letzten Zipfel der Turmspitze der Westminster Abbey sehen kann, bleibt unser Cabrio stehen. Robert und Rosy steigen aus, und ich folge ihnen durch den Vorgarten, der aus einem exakt auf 2,54 Zentimeter Länge getrimmten Rasen besteht. Ein Inch, oder – falls Sie immer noch kein Englischwörterbuch haben – ein Zoll.

Nicht nur, dass die Menschen in jedem Land anders reden, nein, sie messen auch noch überall anders. Denn hier in Großbritannien misst man mit dem Imperial Inch, exakt 2,54 Zentimeter, in den Vereinigten Staaten jedoch mit dem Survey Inch mit 2,5400051 Zentimetern, was auch immer das Gewusel hinter den Nullen soll. Dann gibt es noch den Schweizer Zoll mit exakt 3,0 Zentimetern, den bayerischen Zoll mit 2,43216 Zentimetern und den Pfälzer Zoll mit riesenhaften 3,3 Zentimetern.

Wir Hunde haben auch das viel einfacher gelöst, bei uns gibt es nur drei Maßeinheiten: kleiner Knochen, großer Knochen, riesiger Knochen. Wobei für einen Mops jeder Knochen riesig ist, jedenfalls bis wir ihn verputzt haben.

Wir kommen an eine hölzerne Haustür, Robert klingelt, und plötzlich rieche ich Victorias betörendes Odeur.

Mein Herz beschleunigt auf Mops-Hochgeschwindigkeit, ich richte mir das Jackett, streiche mir erst den Pferdeschwanz glatt, dann den Mopsschwanz, und endlich öffnet sich die Tür.

Als Erstes sehe ich einen Schuh, dessen schmale Absätze höher sind als meine Beine. Von den Beinen, die nun folgen, will ich gar nicht reden.

Keine Ahnung, was Menschen daran erotisch finden, mir würde das jedenfalls vorkommen, als sei ich mit einem Hochhaus zusammen.

»Was gibt es denn?«, fragt das Hochhaus, also Mrs. Wilkinson. Im nächsten Moment entdeckt sie Arnold, schreit, stürzt zu ihm, die Tür ist frei, ich könnte in die Wohnung, doch dann muss ich wieder an Audrey denken und bleibe unschlüssig stehen.

Mein Frauchen hat mich damals aus dem Tierheim geholt und zu dem gemacht, was ich heute bin.

Andererseits habe ich die Sache mit dem Schrank nie vergessen, auch wenn das keine Absicht war.

Jetzt kommt auch noch Mr. Wilkinson hinzu, nimmt Arnold, fühlt ihm den Puls und legt ihn in ein Körbchen. Dann fällt sein Blick auf mich. »Ist das Ihr Mops?«, fragt er Rosy.

Angesichts meines Plans, hier einzuziehen, eine etwas ungünstige Frage.

Robert und Rosy schauen sich erstaunt an. »Wir dachten, er gehört Ihnen.«

Jetzt blickt auch Mrs. Wilkinson zu mir, legt ihre Stirn in Falten und wendet sich dann zu ihrem Mann. »Ich hab dir doch vor deiner Geschäftsreise von diesem armen Mops aus dem Tierheim erzählt. Das ist er.«

Jetzt schauen nicht nur Rosy und Robert erstaunt, sondern auch ich.

Ich glaube, die führen was im Schilde!, will ich gerade bellen, da kommt Victoria um die Ecke.

Fluchttrieb und Sexualtrieb führen einen kurzen Kampf miteinander, der mein Hirn anscheinend überfordert, denn im nächsten Moment fällt ausnahmsweise nicht Arnold in Ohnmacht, sondern ich.

9

Wer sich jemals gefragt hat, wovon Hunde träumen, dem sei hier die Antwort gegeben: Nein, wir träumen nicht von Dinosaurierknochen, auch nicht von Chappie oder irgendwelchen All-you-can-eat-Büfetts.

Sondern von unseren Geschwistern.

Wir Hunde werden ja nicht einzeln geboren, sondern in einem Wurf. Wie mir Sunny vorgelesen hat, gab es sogar mal ein Bernhardinerweibchen, das dreiundzwanzig Welpen auf die Welt gebracht hat. Ich hingegen habe mich mit vier Schwestern und zwei Brüdern zufriedengegeben.

Die ich ein paar Wochen nach unserer Geburt nie wieder gesehen habe.

Anscheinend sind wir Hunde den Menschen als Familie zu stressig, weswegen sie uns immer einzeln oder mit fremden Hunden zusammen halten.

Aber nie mit unseren Geschwistern.

Jedenfalls nicht bei den Hunden, die ich kenne.

Während ich von meinen Geschwistern träume, sehe ich plötzlich zwischen ihnen Victoria.

Sofort schrecke ich hoch.

Hastig blicke ich mich um. Ich liege im Flur, Arnold neben mir, immer noch bewusstlos. Spätestens wenn der wieder aufwacht, wird es Ärger geben.

Victoria sehe ich nirgends. Sie hätte mich ja wenigstens pflegen können, wenn ich schon so heldenhaft in Ohnmacht gefallen bin.

Mir ist schwindelig, und ich weiß nicht genau, weshalb, aber ich spüre unterbewusst Gefahr.

Wir Tiere sollen dafür ja einen sechsten Sinn haben.

Auch wenn ich persönlich noch nie etwas davon gemerkt habe.

Aus der Küche höre ich Stimmen, doch sie sind vom Flur aus nicht zu verstehen. Ich taumle zur angelehnten Küchentür und linse, davon geschützt, in den Raum, sodass mich die Wilkinsons nicht sehen können. Sie sitzen am Küchentisch, essen Fish and Chips und trinken Heineken. Wie unbritisch!

»Und du meinst, die Versicherung zahlt?«, fragt Arnolds Frauchen, während es sich eine Fischgräte aus dem Mund zieht.

»Klar, sie ist ein Rassehund, und so ein Schlangenbiss kann schon mal passieren. Und mit den fünfzigtausend können wir den Bentley anzahlen.«

Victoria! Diese Zweibeiner wollen sie umbringen, aus schnöder Geldgier. Wieder so etwas, was ich bei den Menschen nicht verstehe.

Mehr als ein Dach über dem Kopf braucht man schließlich nicht, und man kann auch nicht mehr essen und trinken, als in einen Magen hineinpasst.

Für was also das ganze Geld?

Ich will gerade zurück, um Victoria zu suchen und zu warnen, da höre ich erneut Mrs. Wilkinson. »Wir könnten auch den Mops nehmen«, sagt sie. »Irgendwie hänge ich an dem Pudel.«

Mr. Wilkinson seufzt. »Bevor wir den Mops-Stammbaum nicht gefälscht haben, bringt der keinen Penny, so wie der aussieht.«

Ich will widersprechen, doch dann fällt mir ein, dass dies momentan ein wenig unklug wäre.

»Außerdem haben wir den noch gar nicht versichert, und wir brauchen jetzt die Kohle«, sagt Wilkinson. »Oder soll ich mit unserem Vauxhall bei der Bank vorfahren?«

Ich habe genug gehört, jedenfalls über mich, schleiche zurück in den Flur und nehme Victorias Spur auf. Irgendwo muss sie ja stecken!

Mein Nasenautopilot stoppt vor einer verschlossenen Tür. Dahinter höre ich etwas kratzen. Ich würde jetzt ja gerne bellen, aber dann wissen die Wilkinsons, dass ich wach bin.

Manche größeren Hunde können Türen öffnen, indem sie die Türklinke mit ihren Pfoten hinunterdrücken, aber wir Möpse sehen schon beim Versuch lächerlich aus.

Außerdem können Hunde nicht flüstern, also winsele ich leise: »Bist du das, Victoria?«

»Wer bist du?«, winselt es zurück.

In dem Moment höre ich Schritte aus der Küche. Rechts von mir befindet sich eine weitere Tür, sie ist nur angelehnt. Damit mich Wilkinson nicht entdeckt, drücke ich mich durch den Türspalt. Dahinter liegt ein Raum, er ist dunkel und riecht streng, irgendwie nach Urwald, jedenfalls wie ich ihn mir vorstelle.

Vorsichtig tapse ich tiefer in den Raum hinein und höre irgendetwas zischeln. Ist das die Schlange, von der die Wilkinsons gesprochen haben?

Oder sind das diese Reptilien, mit denen ich nichts hatte anfangen können?

Sunny wüsste das, aber die kann ich jetzt schlecht fragen.

Das Zischeln wird immer lauter, die Schritte auch, Wilkinson scheint direkt vor der Tür zu stehen. Wo soll ich jetzt noch hin?

Dann geht die Tür auf, jemand schaltet das Licht ein, und wenn Möpse vor Schreck schreien könnten, würde ich es tun.

10

Wie ich feststellen muss, gibt es Schlangen, für die selbst ein wohlgenährter Mops wie ich nur ein Appetizer ist.

Ich verstehe ja, wie gesagt, nicht viel von Reptilien, aber angesichts der Aufmerksamkeit, die ich hier erzeuge, bin ich mir sicher, dass ich auf mindestens zehn Speisekarten ganz oben stehe.

Wären die Schlangen nicht hinter Glas, hätten sie mich wahrscheinlich schon aufgefressen. Denn ich stehe immer noch mitten im Raum, mit starren und zittrigen Beinchen, ganz so, als wäre ich ein Kaninchen.

Was nicht gerade von Vorteil ist, denn Wilkinson, der auf mich zukommt, kann mich so unmöglich übersehen.

»Schaust du dir schon mal deine Freunde an?«, fragt er und stupst mit seinen Pantoffeln meinen Po in Richtung Tür. »Ich bin mir sicher, sie mögen dich.« Er zeigt auf eine Schlange mit einem schwarzen Zickzackband auf dem Rücken, die zwar nur einen halben Yard lang ist, aber am wildesten zischt. »Wie ich sehe, gefällst du Cosima. Kein Wunder, sie ist besonders giftig.«

Cosima schnappt nach mir, und ich bekomme trotz der Glasscheibe zwischen uns dermaßen Angst, dass ich glatt wieder aus meiner Schockstarre erwache. Panisch renne ich in den Flur und suche nach dem Ausgang.

In meinem Apartment wäre das einfach, da gibt es eine Katzenklappe. Sie stammt aus der Zeit, in der Audrey noch nicht verstanden hatte, dass der Mensch für Katzen nur ein Portier ist, für Hunde hingegen ein Familienoberhaupt. Okay, wir wollen auch gefüttert werden, aber es ist ja die Einstellung, die zählt.

Die Katzenklappe daheim ist zwar alles andere als riesig und ich habe schon mehrere mündliche Anträge zur Verbreiterung der Klappe gestellt, doch die wurden immer ignoriert.

Bisher bin ich trotzdem jedes Mal durchgekommen.

Dank der Katzenklappe fällt es Audrey gar nicht auf, wenn ich tagsüber oder nachts für ein paar Stunden verschwinde, solange mein Napf regelmäßig geleert ist und ich zur Teatime zu Hause bin.

Weil Hunde ja Gewohnheitstiere sind, renne ich zur Eingangstür, doch ich sehe sofort, hier gibt es keine Katzenklappe. Außerdem ist der Türknauf viel zu hoch, aus Metall und abgerundet. Selbst wenn ich ihn zu fassen bekäme, würde ich mir alle Zähne daran ausbeißen.

Ich versuche es trotzdem, lege meine ganze Kraft in die Hinterbeine, springe hoch und schaue erwartungsvoll nach oben.

Das Ganze endet genauso wie damals als junger Welpe, als ich versuchte, auf den Mond zu springen, damit ich ihn nicht mehr anheulen muss.

Jedenfalls fühlt sich der Knauf genauso weit weg an.

Doch ich muss hier raus! Und zwar schnell, denn Mr. Wilkinson kommt jetzt auch in den Flur. »Die sind schon ziemlich hungrig!«, ruft er in die Küche. »Wenn ich heute Abend aus Versehen die Tür zum Terrarium auflasse, sind wir nach dem Kino gemachte Leute!«

Ich muss hier nicht nur dringend raus, ich brauche auch unbedingt Verstärkung, denn gegen eine Horde Giftschlangen sind selbst ein Mops und eine Pudeldame ziemlich machtlos.

Wäre ich James Bond, wäre das ziemlich simpel. Wenn der sich in Gefahr befindet, rückt gleich die britische Armee an. Und wenn die nicht helfen kann, was eigentlich immer der Fall ist, dann kommen eben die Amis.

Ich hingegen hab nur eine neunzigjährige Grandma, eine kleptomanische Elster und einen fresssüchtigen Hamster zu bieten.

Okay, dafür fangen wir keine sinnlosen Kriege an. Moralisch sind wir also schon mal im Vorteil.

Nur leider hat das in der Welt der Menschen noch nie viel gebracht.

»Ich glaub, der blöde Mops will abhauen«, ruft nun auch noch Mr. Wilkinson. »Ich leg den besser mal an die Kette.«

Und schon kommt er mit einer Stahlkette auf mich zu, die anscheinend dazu dient, Arnold festzuhalten.

Die Eingangstür hinter mir ist verschlossen, also bleibt mir nur die Flucht nach vorn.

Ich versuche, Wilkinson zu tunneln, muss jedoch feststellen, dass beim Menschen die Beine ein wenig näher zusammenstehen als beim Stier.

Und so bleibe ich zwischen Wilkinsons Knöcheln stecken, er packt mich, und während ich mich kläffend wehre, zieht er mir die Kette über den Hals. Er zerrt mich hinter sich her, öffnet eine Stahltür, und dann stehen wir in der Garage.

Wilkinson hängt das andere Ende der Kette in einen Bodenring, lässt die Kette los und schließt krachend die Tür hinter sich.

Nur ein verbeulter Vauxhall leistet mir Gesellschaft. Da ich keinen Führerschein besitze, werde ich nicht viel mit ihm anfangen können.

Nun sind Möpse recht optimistische Tiere, doch hier und jetzt muss ich sagen, Sie, meine liebe Leserin, mein lieber Leser, können aufhören, zu lesen.

Es wird kein Happy End geben. Ich bin angekettet in einer verschlossenen Garage. Und ich bin ein Mops. Es gibt keinen Weg hier raus.

11

Sie lesen doch weiter? Tja, so sind die Menschen, lassen sich eben nichts sagen, schon gar nicht von einem Hund.

Und was soll ich sagen?

Sie haben recht. Denn ich hab inzwischen tatsächlich eine Idee, wie die Flucht gelingen könnte. Klar, das ist eher so eine hanebüchene Idee wie die, auf den Mond zu springen, aber bevor man es nicht ausprobiert, weiß man das ja nicht.

Ich hab jetzt keine Ahnung, inwiefern Sie mit der Physiognomie von Hunden vertraut sind, aber das Verhältnis von Halsumfang und Kopfumfang sieht bei einer Dogge völlig anders aus als bei einem Mops. Bei Arnold beispielsweise ist die schlankeste Stelle am Oberkörper sein Hals, weswegen es ihm unmöglich ist, sich aus einem engen Halsband zu befreien.

Wir Möpse hingegen haben keine einzige schlanke Stelle, und einen Hals haben wir schon gar nicht. Jedenfalls keinen sichtbaren. Ein Biologe wird mir zwar widersprechen, aber im Grunde hängt bei uns der Kopf direkt am Oberkörper. Und unser Kopf ist auch noch ziemlich kurz.

Außerdem besteht der Körper einer Deutschen Dogge nur aus Muskeln, ist hart wie Kruppstahl und genauso doof. Oder genau genommen unnachgiebig.

Der Körper eines Mopses hingegen besteht zu gefühlten achtundneunzig Prozent aus Fett. Und Fett ist nun mal flexibel und weich, weswegen wir auch viel kuscheliger sind als Doggen.

Wilkinson mag die Kette zwar eng zugezogen haben, aber nicht so eng, dass sie mich erdrosseln würde. Wenn ich mich auf den Rücken lege, umherwälze und dabei mit den Schulterblättern an der Kette ruckle sowie gleichzeitig mein Fett komprimiere, dann kann ich die Kette nämlich leicht bewegen.

Wie kann denn bitte schön ein Mops sein Fett komprimieren?, wird jetzt gleich wieder der Biologe einwerfen.

Tja, ihr Menschen habt eben keine Ahnung von den Fähigkeiten der Natur. Mal ehrlich, ihr könnt nicht mal einen popeligen Schnupfen kurieren und glaubt trotzdem, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben.

Obwohl das nun wirklich biologisch unmöglich ist.

Wir Möpse haben uns eben evolutionsbiologisch perfekt an unser Wirtstier, den Menschen, angepasst. Und damit der nicht denkt »Boah, mein Mops ist aber dick!« und uns auf Diät setzt, können wir unser Fett so zusammenziehen wie andere Tiere ihre Muskeln.

Denn Fettpolster sind die Muskeln der Dicken!

Und wie jeder weiß, wenn man Schaumstoff zusammendrückt, dann wird dieser schlanker. So verhält es sich auch mit unserem Fett. Irgendwann werden die Menschen das auch verstehen und auf Basis unseres Mopsspecks fettkomprimierende Schlankheitspillen entwickeln.

Aber zum Glück haben wir Möpse nicht nur Hirn im Kopf, sondern auch Fett am Kopf. Zwar nicht sonderlich viel, jedenfalls für Mopsverhältnisse, aber es reicht, um ihn auch dort zu komprimieren.

Also wälze ich mich auf dem Boden, setze meine paar Muskeln ein, ziehe mein Fett zusammen und mache meine kurze Nase noch eine Spur kürzer, und dann endlich, nachdem mein elegantes rotes Jackett vom staubigen Garagenboden schon ganz schmutzig geworden ist, gelingt es mir, die Kette abzustreifen.

Ich bin ein Held!

Allerdings immer noch einer, der in einer Garage eingesperrt ist. Klar, ich könnte mich auf den Rücksitz dieses hässlichen Vauxhall legen und warten, bis die Wilkinsons ins Kino fahren, doch so viel Zeit habe ich nicht.

Davon abgesehen bekomme ich die Tür dieses Ungetüms niemals auf. Türen sind ohnehin der größte Schwachsinn, den die Menschen erfunden haben, neben Atomkraftwerken, Diätratgebern und Plastikknochen.

Warum glauben die Menschen, sie dürfen allen anderen Lebewesen einfach den Weg versperren? Nicht genug, dass diese Spezies alles zubetoniert, damit ihre Autos schneller fahren können, nein, sie baut auch noch Türen, Mauern und Umgehungsstraßen, damit alle anderen langsamer vorankommen!

Wenn jetzt zum Beispiel Kühlschränke keine Türen hätten, dann könnte ich mich daheim einfach selbst bedienen, und Audrey müsste mir kein Futter hinstellen, und allen wäre geholfen.

Aber der Mensch schneidet einfach das Kotelett aus dem Schwein, behauptet, es gehöre ihm, und sperrt es in den Kühlschrank, damit kein anderes Tier etwas davon hat.

Und auch kein anderer Mensch.

Natürlich hat die Garage auch eine Tür, genau genommen ein Tor. Das verschlossen ist. Wenigstens ist das ein halbwegs hundefreundliches Schloss, denn offensichtlich lässt sich die Garage von innen öffnen, indem man an einem Seil zieht. Das leider viel zu hoch hängt.

Ich versuche trotzdem mein Glück, schließlich gibt ein Mops nie auf.

Ich hüpfe nach oben, komme nicht mal in die Nähe des Seils und stoße mich beim Landen auch noch an der Stoßstange dieses blöden Vauxhall. Was muss der hier auch so sinnlos rumstehen?

Moment? Sinnlos? Immerhin ist er gut drei Fuß hoch.

Weil eben ein Yard ein Schritt ist, werden Höhenangaben in Fuß gemessen, obwohl man die auch schlecht stapeln kann.

Und ein Fuß entspricht exakt 30,48 Zentimetern, was einer Schuhgröße von 46 entspricht, wobei mich am meisten verwundert, was für Quadratlatschen die Menschen im Mittelalter hatten.

Das Autodach ist also in etwa einen Meter hoch, und wenn ich auf da hoch klettere und mit ganz viel Anlauf springe, dann lande ich entweder am Garagentor oder bekomme das Seil zwischen die Zähne.

Da Möpse Gefahren ja grundsätzlich unterschätzen, denke ich nicht lange nach, nehme Anlauf, hüpfe auf das Heck des Vauxhall, renne auf das Dach des Wagens, beschleunige, springe ab, hechte durch die Luft wie Superman im Mopskostüm und erwische das Seil.

Allerdings nur in meiner Vorstellung, tatsächlich segle ich einen halben Yard daran vorbei, direkt an das Garagentor.

Es scheppert, als hätte jemand einen Mops drangeworfen. Trotz meiner Fettpolsterung tut das ordentlich weh.

Wahrscheinlich hat Wilkinson den Krach gehört, und wenn er sieht, dass ich mich aus der Kette befreit hab, schickt er bestimmt Cosima zu mir.

Und dann ist es vorbei mit meiner internationalen Karriere als Modezar, mit den hoffentlich nicht jugendfreien Tête-à-Têtes mit Victoria und dem mopsfidelen Leben.

Mir bleibt also nichts anderes übrig, als erneut Anlauf zu nehmen, wieder auf das Heck des Vauxhall zu hüpfen, noch schneller auf das Dach zu rennen, noch stärker zu beschleunigen, genauer zu zielen, abzuspringen und das Seil erneut zu verpassen.

Dabei war ich dieses Mal absolut perfekt ausgerichtet, wie ein professioneller Hundeseiltänzer, nur leider eine Leckerlilänge zu tief. Weswegen ich wieder mit Karacho in das Garagentor falle.

Ja, auch Möpse können blaue Flecken bekommen.

Ich versuche es gleich wieder, und – was soll ich sagen? – dieses Mal fehlt mir nur noch eine halbe Leckerlilänge.

Kaum bin ich erneut scheppernd gelandet, höre ich kräftige Schritte auf die Garage zukommen. Wilkinson!

12

Die Verbindungstür zur Garage öffnet sich exakt in dem Moment, in dem ich das Seil endlich zwischen den Zähnen habe. Dank meines Gewichts wird der Öffnungsmechanismus aktiviert, und das Garagentor schwingt nach vorn hin auf. Wilkinson rennt mir hinterher, doch da habe ich das Seil schon losgelassen und spurte über den 2,54-Zentimeter-Rasen in die Freiheit. Wilkinson ruft noch irgendetwas, das klingt wie »Bin froh, dass wir den los sind!«, da bin ich schon um die Ecke.

Ich brauche dringend Verstärkung, doch dafür muss ich ins East End, und das ist schon deshalb über zehn Meilen vom West End entfernt, damit die feinen Bürger dort nicht ständig diese armen East-End-Arbeiter mit ansehen müssen, denen sie ihren Reichtum verdanken.

Wenigstens hat der Mensch nicht nur sinnlose Dinge erfunden, sondern auch ein paar ganz praktische. Zu denen zählt neben Hundehaarbürsten und Couchlandschaften auch die U-Bahn.

Auch wenn es für einen Mops nicht ganz ungefährlich ist, bin ich schon ein paarmal U-Bahn gefahren.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nie ein Ticket gelöst habe, was daran liegt, dass die Ticketautomaten nicht mopsgerecht sind. Denn sie sind viel zu hoch und nicht selbsterklärend, jedenfalls für Möpse. Zudem sind die Drehkreuze nicht in Mopshöhe, weswegen ich davon ausgehe, dass sie nicht für uns gelten. Nicht zuletzt bekommen Möpse keine Kreditkarte, und Bargeld beult mir immer so die Taschen aus.

Okay, ich gebe es zu, das sind alles nur billige Ausreden, in Wirklichkeit bin ich passionierter Schwarzfahrer. Denn ich finde, wenn der Mensch schon die ganze Welt zubetoniert, muss er damit leben, dass die Tiere das wenige nutzen, was ihnen zugänglich ist.

Ich renne zur Station Westminster, passiere die Eingangskontrollen und nehme die District Line nach Barking.

Meine Heimat.

Was ja wohl schon der Name sagt.

Den Sie übrigens auch in jedem Englischwörterbuch finden, falls Sie wieder mal nur Bahnhof verstehen oder eben Barking.

In Barking soll früher übrigens ein Irrenhaus beheimatet gewesen sein, weswegen man in England zu einem Volltrottel sagt, er sei »barking mad«, und sich über diese Doppeldeutigkeit köstlich amüsiert. Vor allem auf Kosten von uns Hunden. Aber das bin ich ja schon gewohnt.

Wie immer in der Tube muss ich aufpassen, dass mir die Menschen nicht auf die Füße treten. Ich bin froh, als ich eine alte Grandma entdecke, und hocke mich unter ihren Sitz. Das ist mit Abstand der beste Platz, Grannys zappeln nämlich nicht so rum, starren nicht die ganze Zeit in ihr Telefon, und wenn sie einen bemerken, gibt es ein Leckerli statt Fußtritte.

Allerdings muss ich jetzt wieder an Audrey denken. Sie wird mich furchtbar vermissen heute, wenn ich nicht um fünf Uhr nachmittags daheim bin. Aber Victoria werde ich kaum retten können, wenn ich mir während der Teestunde den Nacken kraulen lasse.

Und ich lasse mir verdammt gerne den Nacken kraulen.

Auch an meine Fashionshow mag ich gar nicht denken. Monatelange Vorbereitung, die perfekte Kollektion, ein ausgebuchtes Haus.

Alles für nichts.

Es wird einen riesigen Aufruhr geben, aber das ist immer noch besser als eine Pudelbeerdigung.

Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber ich werde sie verhindern!

Oder daneben im Sarg liegen.

Bevor ich mir das in den schwärzesten Farben ausmalen kann, komme ich in Barking an. Das Aussteigen ist jedes Mal besonders gefährlich, denn die meisten Menschen drängen schon in die U-Bahn, bevor alle ausgestiegen sind.

Daher halte ich mich immer ganz am Rand, in der Hoffnung, dass mich niemand in den Spalt zwischen Ausstieg und Gleisen schubst. Denn auch ein Mops wird ungern von einer U-Bahn überfahren.

Irgendwie komme ich aus der Bahn raus, lasse mich mit der Rolltreppe nach oben fahren und renne dann auf direktem Weg zu Sunnys Nest im Barking Park. Hoffentlich ist sie nicht wieder auf einem Raubzug unterwegs, den sie hinterher ohnehin bereut.

Sunny ist nämlich das gutherzigste Tier, das ich kenne. Sie könnte nicht mal einer Stechmücke etwas zuleide tun, aber sie ist nun mal Kleptomanin. Sie versucht, das mit ihren Elstergenen zu rechtfertigen, aber das ist natürlich nur ein Scheinargument. Wer sich wirklich ändern will, der schafft das auch. Schließlich lebe ich auch schon lange monogam.

Unglaubliche zwölf Stunden ohne Unterbrechung!

Jedenfalls wenn man mal von dem Quickie mit diesem angehenden Supermodel absieht, der mich zu der Erkenntnis geführt hat, dass nur Victoria die Richtige für mich ist.

Und dann hab ich mich auch sofort auf die Suche nach ihr gemacht und bin in dieses Schlamassel geraten.

Als ich an Sunnys Nest unter der großen Pappel komme, erkenne ich sofort, dass sie ausgeflogen ist.

Also nicht die Pappel, sondern Sunny. Eine Pappel kann ja wohl kaum fliegen, außer in irgendwelchen Märchen, und wir sind hier ja in der bitteren Realität.

Ich laufe ein paar Yards weiter zu Turings Bau, dem Heim meines Hamsterfreundes. Turing ist ein Goldhamster, hat sich aber nach seiner Pubertät selbst ausgewildert. Nun behauptet Turing, er sei Feldhamster, obwohl die in Großbritannien schon lange ausgestorben sind.

Außerdem leidet er an Fresssucht. Und wenn ich als Mops Fresssucht sage, dann weiß ich, wovon ich rede.

Der Kerl isst jeden Tag das Mehrfache seines Körpergewichts. Wenn der so weitermacht, besteht die ganze Welt irgendwann nur noch aus Hamsterkacke.

Okay, auch hier gilt wie für Beton, kommt darauf an, was man daraus macht.

Nur kann man aus Hamsterkacke nicht wirklich etwas Sinnvolles bauen.

Jedenfalls wenn man die Geruchsbelästigung berücksichtigt.

Da Turing wie alle Hamster wegen der kleinen Ohren schwerhörig ist, jedenfalls im Verhältnis zu uns Hunden, haben wir ein besonderes Signal verabredet, wenn ich ihn besuche.

Ehrlich gesagt, ist mir das ein wenig peinlich, aber früher oder später erfahren Sie es ja sowieso. Der Kerl kann nämlich seine Klappe nicht halten.

Andererseits, wenn Sie jetzt aufhören, zu lesen, wird das Geheimnis gewahrt bleiben.

Sie könnten doch stattdessen die Steuererklärung der letzten drei Jahre auf Fehler überprüfen.

Oder, noch besser, sie erst mal erstellen.

Na, ist das ein Angebot?

13

Wie ich sehe, sind Sie nicht so leicht abzuschütteln. Gut, denn ich mag Menschen mit den richtigen Prioritäten.

Also, wir waren an der Stelle stehen geblieben, an der ich mich vor Turings Hamsterbau setze, mit dem Po voran, und das tue, was Möpse am besten können.

Nein, nicht schlabbern.

Und auch nicht schnarchen.

Wobei wir in beidem Weltmeister sind.

Doch unsere wahre Kernkompetenz ist eine andere.

Diese ist, wie gesagt, ein wenig peinlich, aber wenn Sie religiös sind, dann beschweren Sie sich am besten beim lieben Gott, denn der hat uns so gebaut.

Und wenn Sie Atheist sind, dann betrachten Sie es als weiteres Wunder, das die Evolution vollbracht hat.

Kurz und gut, wir pupsen für unser Leben gern.

Und genau darin besteht mein Signal.

Es funktioniert immer, selbst wenn sich Turing in seinem weitläufigen Bau hundert Yards entfernt aufhält.

Well, eben ein Wunder der Natur.

Und es funktioniert auch, wenn er direkt hinter dem Eingang sitzt, so wie jetzt gerade.

»Boah!«, ruft er dementsprechend. »Was hast du denn gefressen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ist wohl die Nervosität.«

»Wegen der Fashionshow?«, fragt er, während er eine Walnuss knackt.

»Nein, wegen meiner großen Liebe Victoria«, antworte ich. »Wir müssen sie retten!«

»Moment«, sagt Turing, frisst die Walnuss und öffnet gleich die nächste. »Große Liebe? War das nicht Mary?«

»Jetzt lenk nicht ab. Ich brauche dringend eure Hilfe!«

»Und was ist mit Sandra, Fritzi, Jenny, Jessy, Alex, Wilma, Lu und Lassie?«, fragt Turing und verputzt auch die zweite Walnuss. »Ich erinnere mich dunkel, diese Namen im Zusammenhang mit dem Begriff ›große Liebe häufiger gehört zu haben. Genau wie Amelie, Stella, Brunhilde …«

»Erstens dachte ich, Hamster sind schwerhörig«, unterbreche ich ihn. »Und zweitens wusste ich da noch nicht, wie groß meine Liebe zu Victoria sein würde.«

»Das liegt bestimmt daran, dass sie nicht an dir interessiert ist«, sagt Turing, während er zur Abwechslung eine Haselnuss verspeist. »Eines dieser leichten Mopsmädchen, die ständig um dich herumschwänzeln, hast du nämlich noch nie als große Liebe bezeichnet.«

»Es gibt keine leichten Mopsmädchen.«

»Du weißt genau, was ich meine«, erwidert Turing, während er sich eine Macadamianuss ins Maul schiebt. Wo auch immer er die herhat.

Ich winke ab. »Zu einer großen Liebe gehört mehr als nur drei Sekunden rein-raus.«

»Drei Sekunden? Übertreibst du jetzt nicht ein wenig?« Turing braucht jedenfalls nicht mal die Hälfte der Zeit, um die nächste Macadamianuss in seinen Backen verschwinden zu lassen.

»Was kann ich dafür, dass Hundeweibchen nicht auf Vorspiel stehen?«, frage ich.

»Woher willst du das wissen?«

»Und woher willst du das wissen?«, frage ich zurück, schließlich ist Turing vom anderen Ufer.

»Was meinst du, bei wem sich die Mädels immer ausweinen?«

So geht das immer, wenn Turing ins Spiel kommt. Der Kerl hat ein unglaubliches Gedächtnis, kein Wunder, wenn man sich ständig dreitausendzweihundertsiebenundzwanzig streng geheime Nahrungsdepots samt Inhalt, Lokation und Verfallsdatum merken muss. Nur leider setzt er sein Gedächtnis nicht nur ein, um seine Verpflegung sicherzustellen, sondern auch, um alle anderen zu nerven. Daher hatte ich bisher darauf verzichtet, ihn um Hilfe zu bitten, aber ohne Turing können wir Victoria nie retten.

Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber er ist eine ganze Portion cleverer als ich.

Das liegt wahrscheinlich an den ganzen Nüssen, die er ständig verzehrt.

»Wo ist Sunny?«, frage ich.

»Die besorgt noch die Deko für deine Fashionshow.«

»Das kann sie sich sparen, die fällt aus.«

»Was?« Turing hört vor Schreck zu kauen auf. »Und was wird jetzt aus meinem popofreien Latexkleid? Das ist doch nächste Saison total out!«

Ist es jetzt schon, denke ich, aber Turing hört in solchen Dingen grundsätzlich nicht auf mich, weil Homosexuelle angeblich ein viel besseres Stilbewusstsein haben als wir Heteros.

Das mag auf Menschen zutreffen, aber sicher nicht auf Hamster.

»Tut mir leid, aber es geht um ein Hundeleben. Und das ist mehr wert als ein popofreies Latexkleid.« Ich erzähle Turing, was vorgefallen ist, und bin gerade dabei, von meiner heldenhaften Flucht aus der Garage zu sprechen, als es plötzlich Gold und Silber regnet.

14

Einen kurzen Moment lang bin ich ob des unverhofften Reichtums abgelenkt, dann sehe ich, dass da nur goldene und silberne Stanniolblättchen herabregnen.

Das kann nur eines bedeuten.

Sunny ist wieder da.

Schließlich steht sie auf Kitsch.

Und da kommt sie auch schon angeschossen, natürlich im Sturzflug. Sunny steht nämlich auch auf spektakuläre Auftritte. Sie fährt ihre Krallen erst ganz kurz vor dem Boden aus, landet direkt vor unserer Nase und wirbelt dabei noch einmal die Stanniolblättchen auf. »Geile Deko für die Fashionshow, oder? Hab ich auf einem Flohmarkt besorgt!«

»Besorgt?«, frage ich.

»Ich wollte bezahlen!« Sunny läuft rot an, zuckt mit ihren Flügeln. »Aber dann war die Kasse am Ausgang nicht besetzt.«

»Seit wann gibt es auf einem Flohmarkt am Ausgang Kassen?«

»Sag ich doch. Ich bin unschuldig!« Sie deutet mit einem Flügel auf mich. »Außerdem ist das für deine Fashionshow!«

»Das weiß ich zu schätzen«, sage ich. »Aber wir müssen die Show absagen.«

»Was? Ich hab allen von der Fashionshow erzählt!«

»Das ist ja auch deine Lieblingsbeschäftigung«, erwidere ich. »Also erzählst du morgen, dass die Show nicht stattfinden konnte, weil ich an etwas ganz Großem arbeite, etwas, das die Welt noch nicht gesehen hat.«

Sunny wirft mir einen skeptischen Blick zu. »Geht es auch eine Nummer kleiner?«

»Nein, aber eine Nummer größer, wenn du möchtest, schließlich bin ich der größte Modemacher …«

»Und ich dachte immer, wir Elstern seien eingebildet.«

So läuft das immer mit Sunny. Denn auch sie ist eine Portion cleverer als ich. Man könnte jetzt meinen, ich wäre die letzte Dummpfote, da all meine Freunde schlauer sind als ich. Doch im Grunde spricht das für mich, denn ich hätte mich ja auch mit Hühnern anfreunden können, die mich als Intelligenzbestie verehren würden.

Dann wäre ich jetzt allerdings chancenlos, Victoria zu befreien, denn bis ich endlich jedem Huhn erklärt hätte, worum es geht, hätte das erste schon wieder vergessen, wer ich überhaupt bin.

Deswegen hat bei Hühnern nur einer was zu sagen: der Hahn. Wie man schon an den Hahnenkämpfen sieht, ist der zwar auch dumm wie gedroschenes Stroh, aber da er seine Entscheidungen nie zur Diskussion stellt, fällt das den Hühnern nicht auf.

Bei Menschen gibt es das übrigens auch, nur heißen die Hähne da CEO und leiten meistens eine Investmentbank. Ist eigentlich das Gleiche wie eine Hühnersitzgruppe, nur dass die Bank nicht mal Eier produziert, aber trotzdem mehr Geld verdient.

Ich erzähle auch Sunny, was vorgefallen ist.

»Du willst in das Haus anderer Mitgeschöpfe einbrechen?«, fragt sie schließlich und flattert entrüstet mit ihren Flügeln. »Das verletzt ihre Privatsphäre und ist illegal!«

»Die Wilkinsons haben ganz toll glänzenden Schmuck.«

»Okay, ich komme mit.«

Das sind eben echte Freunde. Turing packt noch ein paar Sachen in seine Backen, und wir machen uns auf den Weg. Ich mit Turing per U-Bahn, Sunny per Privatjet. So nennt sie das jedenfalls, wenn sie selbst fliegt.

Eine Dreiviertelstunde später treffen wir uns vor dem Haus der Wilkinsons. Da Elstern zwanzig Meilen die Stunde schaffen, sitzt Sunny schon auf der Fensterbank vor Wilkinsons Wohnzimmer.

»Ich sag euch immer: Lernt fliegen«, begrüßt sie uns. »Aber ihr wollt ja nicht auf mich hören.« Sie kennt unsere Antwort schon, daher redet sie einfach weiter. »Ich hab mich schon mal umgesehen.« Sie zeigt durch das Fenster in das Apartment. »Die Wilkinsons sind noch da, wir können sie von hier aus beobachten.«

Wie die Bremer Stadtmusikanten postieren wir uns vor dem Fenster, wobei ich mich auf einen Gartenstuhl stellen muss, damit wir überhaupt etwas sehen, denn ein Mops und ein Hamster werden auch zusammen nicht zum Riesen. Und Sunny macht ohnehin nicht mit.

»Hättet ihr euch in eurer Jugend mehr angestrengt, müsstet ihr jetzt nicht hier rumturnen«, sagt sie, während sie über uns fliegend ihre Position hält.

Wenigstens sehen wir alle drei etwas, nämlich Wilkinson. Er kommt aus dem Reptilienzimmer, in seiner Hand hält er diese kurze Schlange mit dem Zickzackmuster.

»Cosima!«, rufe ich vor Schreck.

»Du kennst diese Kreuzotter?«, fragt Sunny.

»Angeblich ist die total giftig«, sage ich.

»Klänge es nicht so blöd, würde ich sagen, da kannst du Gift drauf nehmen«, erwidert Sunny.

»Hä?«, frage ich.

»Ein Biss und du siehst die Knochen von unten.«

Und bevor wir auch nur ausatmen können, öffnet Wilkinson Victorias Zimmer, wirft Cosima hinein und schließt die Tür wieder.

15

Katzen haben ja in Großbritannien laut Sprichwort neun Leben, in Deutschland hingegen nur sieben, weswegen auch immer. Hunde haben aber überall nur eines.

Und das von Victoria ist in höchster Gefahr.

»Ich hab eine Idee, wie wir sie retten«, sagt Sunny und fliegt einfach davon.

Wäre sie ein Huhn, hätte sie die Idee schon wieder vergessen, kaum dass sie ein paarmal mit den Flügeln geschlagen hat.

Doch schon kurz darauf kräht Sunny dreimal schnell hintereinander, was entweder heißt, dass sie Gold gefunden hat oder mal aufs Klo muss. Oder dass wir ihr folgen sollen. Eben kontextsensitive Kommunikation.

Von der die Menschen keine Ahnung haben.

Während wir Sunny folgen und ihr dann irritiert zuschauen, wie sie sich erleichtert, verlassen die Wilkinsons das Haus.

»Ich hab was entdeckt«, sagt Sunny schließlich. »Wir können im Bad über ein gekipptes Fenster einsteigen.«

»Hast du schon mal einen Mops gesehen, der durch ein gekipptes Fenster klettert?« Ich zeige Sunny den Vogel, was angesichts ihres höheren IQs total unsachlich ist, sie aber genau deshalb ärgert.

»Wenn Katzen das können, sollte es doch für einen Hund kein Problem sein, oder?«, fragt sie.

Man kann über Sunny sagen, was man will, aber sie weiß, wie man einen Hund motiviert.

Die beiden gehen voraus, und trotz aller Motivation bleibt es ein erbärmlicher Anblick, wie ich mich durch den Fensterspalt zwänge.

Wenn ich mein Fett nicht so hervorragend komprimieren könnte, wäre es hoffnungslos gewesen.

»Das wurde aber auch Zeit«, sagt Sunny, als ich endlich vom Spalt auf den Boden des Badezimmers plumpse.

Wir fliegen beziehungsweise rennen zu Victorias Tür.

Ich höre es dahinter bellen, dann zischen, und irgendetwas fällt um.

Ich belle auch, aber nur ein Winseln antwortet.

Instinktiv springe ich hoch zur Türklinke, doch wie alle Türklinken dieser Welt ist sie zu weit oben angebracht.

Um mir die Klinke entgegenzudrücken, hüpft Sunny wie wild auf der Klinke herum, doch natürlich bewegt sich das blöde Metallding kein bisschen.

»Ihr hättet Komiker werden sollen, keine Einbrecher«, sagt Turing und holt einen dicken Bindfaden aus seinen Hamsterbacken. Plus ein paar Erdnüsse, die er sofort verspeist. Und weil Hamster nicht nur clever, sondern auch mit ihren Pfoten extrem geschickt sind, bindet er mit dem Faden eine Schlaufe.

»Findest du das nicht einen unpassenden Zeitpunkt, dich zu erhängen?«, frage ich. Manchmal verstehe ich diesen Hamster einfach nicht.

Turing lupft eine Augenbraue, jedenfalls tut er so, denn er hat ja gar keine, und deutet auf den Bindfaden. »Sunny, du ziehst die Schlaufe um die Klinke, und Hasso folgt seinem Beißreflex. Der funktioniert ja auch ohne Hirn.«

Ist es im Grunde nicht ein Lob, wenn man von einem Genie beleidigt wird?

Sunny fliegt zur Klinke, stülpt die Schlaufe darüber, und ich schnappe mir das andere Ende und ziehe mit meinem ganzen Gewicht daran.

Endlich etwas, das ich richtig gut kann.

Und so bewegt sich die erste Türklinke meines Lebens, und die Tür öffnet sich.

Nur Hühner würden jetzt sofort in das Zimmer stürmen, ohne die Lage zu sondieren.

Deswegen enden sie auch meist als halbe Hähnchen.

Zu meiner Überraschung verhält sich Turing genauso, ja er rennt einfach in das Zimmer und legt sich mittendrin ungeschützt auf den Rücken, als wäre er ein Ein-Hamster-Selbstmordkommando.

Sofort pirscht Cosima auf ihn zu. Zischend öffnet sie ihr Maul und ist gerade dabei, zuzubeißen, als Turing aus seinen Hamsterbacken Stanniolblättchen pustet.

Instinktiv schnappt die Kreuzotter nach den golden und silbern funkelnden Blättchen, Turing rollt sich zur Seite und schreit: »Jetzt!«

Mich kann er damit nicht gemeint haben, denn ich hab keine Ahnung, was ich jetzt zu tun habe.

Sunny hingegen schon, denn sie fliegt ins Zimmer, packt Cosima mit ihrem Schnabel und befördert sie durch das gekippte Wohnzimmerfenster nach draußen.

»Victoria!«, belle ich erfreut. »Du bist gerettet!«

Doch nur die Stille antwortet.

16

»Kümmere du dich um Victoria!«, ruft Turing und rennt aus dem Zimmer. »Wir befreien die anderen Reptilien.«

Ich schalte meinen Nasenautopilot an und finde Victoria eingeklemmt hinter einer Couch. Sie bewegt sich nicht, hat die Augen geschlossen. Kommt unsere Rettung zu spät?

Bin ich schuld, weil ich nicht schnell genug durch das gekippte Fenster geklettert bin? Ich halte meine Pfote an ihren Hals und nehme ihren Puls.

Tock-Tock-Tock.

Erleichtert atme ich auf.

Victoria lebt noch.

Doch was ist, wenn sie gebissen wurde?

Ich untersuche ihren Körper auf Bissabdrücke, kann jedoch keine entdecken.

Als echter Gentleman habe ich natürlich eine bestimmte Zone ausgelassen, aber als Hund kennt man sich ja mit Bisstechniken aus, und dorthin würden selbst die übelsten Kampfhunde niemals beißen.

Ganz vorsichtig stupse ich mit meiner Schnauze die ihre.

Victoria reagiert nicht.

Ich stupse stärker.

Doch sie bleibt bewusstlos.

Ich will sie schon unsanft wachrütteln, als mir einfällt, dass dies das Erste ist, was sie von mir mitbekommt. Und das sollte doch möglichst romantisch sein.

Zumal Sunny und Turing noch mit den Reptilien beschäftigt sind, jedenfalls höre ich sie aus dem Nebenzimmer Kommandos rufen.

Ich wusste, dass die beiden ab und an zusammenarbeiten, um sich gegen Fressfeinde zu wehren, aber dass sie eingespielt sind wie ein Sondereinsatzkommando, das wusste ich nicht.

Also lege ich mich neben Victoria und streiche mit der Pfote sanft über ihren Rücken. Ihr lockiges Pudelhaar ist dermaßen weich und geschmeidig, dagegen komme ich mir vor wie ein Waldmensch.

Aber Frauen stehen ja auf Naturburschen.

Während ich Victoria streichle, scheint die Zeit endlos zu sein. Als mir das bewusst wird und ich genau diesen Moment genießen will, meldet sich mein Großhirn und teilt mir emotionslos mit, dass die Zeit zwar relativ, aber doch alles in allem recht begrenzt ist.

Jedenfalls für einen Mops.

Bei einer Schildkröte sieht das vielleicht anders aus, die kann schon mal ein Jahrzehnt verdösen.

Aber da ist bei uns das halbe Leben ja schon vorbei.

Und bald darauf sind wir alt und gebrechlich, und niemand interessiert sich mehr für uns.

Denn wir können uns ja keine Hunde halten, die uns die Familie ersetzen.

Die Uhr im Wohnzimmer schlägt fünf, und ich muss wieder an Audrey denken.

Wird sie es verkraften, dass ich jetzt nicht bei ihr bin?

Wird sie mich suchen und alle Nachbarn rausklingeln, wie sie es vor fünfzehn Monaten schon einmal getan hat? Damals hab ich wegen eines Stromausfalls noch in der U-Bahn festgesteckt. Es war das einzige Mal in all den Jahren, dass ich zum Fünfuhrtee nicht zu ihren Füßen lag.

Als ich dann eine Stunde zu spät nach Hause kam, war Audrey leichenblass, und ich musste die Nachbarin zu Hilfe bellen, um Audrey ins Krankenhaus zu bringen.

Sie ist dann eine Woche dort geblieben, und ich durfte sie nicht besuchen.

Seitdem bin ich immer pünktlich zur Teatime daheim gewesen.

Doch jetzt hatte ich keine andere Wahl, schließlich steht ein Hundeleben auf dem Spiel.

Ein Geräusch reißt mich aus den Gedanken, und ich drehe mich um. Hat sich die Tür gerade bewegt?

Da, gerade wieder! Ist es eine Schlange? Oder zwei? Drei? Alle zusammen?

Ich gehe in Verteidigungshaltung, bereit, mein Leben für das von Victoria zu opfern.

Ein Türspalt öffnet sich, ich erkenne Turings Hinterkopf, und dann knallt er mit einem Seufzen auf den Boden und bleibt reglos liegen, Arme und Beine von sich gestreckt.

17

»Nein!«, rufe ich und stürze zu Turing.

Zitternd öffnet er die Augen. »Es geht zu Ende«, haucht er stimmlos. »Und du hast noch Witze über meinen Tod gemacht.«

»Es tut mir so leid!« Ich lege die Pfote auf seine Stirn, Tränen kullern über meine Wangen, obwohl Hunde laut dieser allwissenden Biologen immer noch nicht weinen können.

Stöhnend hebt Turing den Kopf. »Versprichst du mir, dich um meine Nachkommen zu kümmern?«

»Ja«, antworte ich und nicke. Dann erst fällt mir auf, dass Turing noch nie von seinen Nachkommen erzählt hat. Wie ist er überhaupt zu ihnen gekommen, an diesem anderen Ufer, an dem er campiert? Soweit ich weiß, sind Selbstbefruchtung und Leihmutterschaft bei Hamstern eher unüblich. »Welche Nachkommen?«, frage ich daher.

»Als ich jung war, hatte ich mal einen Ausrutscher«, flüstert er. Mit seinen stets vollen Hamsterbacken klingt er wie Marlon Brando, der sich für seine Rolle als der Pate Tischtennisbälle in die Backen gesteckt hatte, um besser nuscheln zu können.

»Und warum leben deine Nachkommen nicht bei dir?«

»Achtzehn Söhne, dreißig Töchter und zweihundertsechsundvierzig Enkel können ganz schön stressig sein. Und von den Urenkeln will ich gar nicht reden. Aber jetzt bist ja zum Glück du da.« Turing muss plötzlich grinsen.

Nur ganz kurz, aber es reicht, um einen Verdacht in mir zu wecken. »Kann es sein, dass du gar nicht im Sterben liegst?«

»Im Grunde liegt man schon vom Moment der Geburt an im Sterben«, sagt Turing, steht auf und klopft sich den Staub vom Fell. »Und wir Hamster sind ja ohnehin vom Aussterben bedroht. Deshalb kann man nicht früh genug vorsorgen.« Er legt mir seine Pfote auf die Schulter. »Meine Nachkommen werden dir ewig dankbar sein.«

Keine Ahnung, wie ich mich auch noch um die kümmern soll, aber Victoria ist jetzt ohnehin wichtiger. »Was ist mit den Schlangen?«

»Wir haben sie befreit, und sie haben hoch und heilig versprochen, nie wieder einem Hund, einem Hamster oder einer Elster etwas zuleide zu tun.«

»Echt? Wie habt ihr das geschafft?«

»Das erzählen wir dir, wenn du auch etwas versprichst«, antwortet Turing.

»Hab ich doch grad!«

»Das war mein letzter Wunsch, den wirst du mir wohl auch so erfüllen, oder?« Turing blickt mich so kritisch an wie eine Mutter ihren missratenen Sohn. Dabei sind wir nicht mal verwandt!

»Du kannst doch deinen letzten Wunsch nicht schon äußern, wenn du noch quicklebendig bist!«, protestiere ich.

»Was bringt es, bitte schön, den letzten Wunsch erst dann zu äußern, wenn man nichts mehr davon hat?«

Da hat Turing auch wieder recht. »Also, was soll ich versprechen?«

»Nur, dass du die Fashionshow so schnell wie möglich nachholst.«

»Warum das denn?«

Turing holt eine Walnuss aus seiner linken Backe, steckt sie in die rechte und verspeist sie. »Ich bin gerade mit meiner Diät so erfolgreich wie noch nie, ein paar Gramm mehr und das Latexkleid passt nicht mehr.«

Hab ich schon erwähnt, dass Hamster ziemlich eitel sind? Und dass sie nicht nur eine Diät machen, sondern mehrere gleichzeitig, denn sonst würden sie ja verhungern. Trotzdem ehrt mich sein Wunsch, auch wenn ich nicht einmal weiß, ob man mir in der Fashionszene nach der ausgefallenen Show überhaupt noch vertraut.

Doch wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie erfahren. Außerdem möchte ich wirklich wissen, wie ein Hamster und eine Elster Dutzende Schlangen aus einem verschlossenen Terrarium befreien können. »Okay«, seufze ich. »Wir machen die Show morgen, einverstanden?«

Turing nickt. »Und wie bringen wir die Kleine jetzt hier weg?«

»Ausnahmsweise hab ich mal eine Idee.« Weil es sonst niemand tut, klopfe ich mir auf die Schulter und lege mich wieder neben Victoria, meinen Kopf ganz dicht an ihren. Dann kraule ich ihr mit der Pfote den Nacken und lecke mit meiner Zunge sanft an ihrer Schnauze.

Und siehe da, sie wacht auf.

Irritiert blickt sie mich an. »Wer … wer bist du denn?«

»Hasso. Hasso Lagerfield.«

Entgegen meinen Hoffnungen sehe ich in ihren Augen keine roten Herzchen, sondern Fragezeichen. »Müsste ich dich kennen?«

»Ich bin der größte Modeschöpfer der Welt, ein fantastischer Liebhaber und habe dir gerade das Leben gerettet.«

Turing und Sunny räuspern sich.

»Zusammen mit meinen Freunden hier.« Ich deute auf die beiden.

»Was habt ihr?«, fragt Victoria irritiert. »Mein Leben gerettet?«

»Dein Herrchen wollte dich von einer Kreuzotter beißen lassen, damit er die Versicherung einstreichen kann.«

Victoria blickt mich geschockt an. »Mein Herrchen? Aber er füttert mich doch immer!«

»Das machen die Menschen auch mit Schlachtvieh«, sagt Turing.

Für einen schwulen Hamster kann er ganz schön unsensibel sein.

Victoria jedenfalls blickt traurig auf den Boden, beißt sich auf die Lippe, reibt sich ihren hübschen Kopf. »Ich kann mich an nichts mehr erinnern.« Sie schaut mir in die Augen.

Mein Herz rutscht in die Hose, weswegen es dort ziemlich eng wird.

»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragt sie.

Details

Seiten
Erscheinungsform
überarbeitete Neuauflage
Jahr
2019
ISBN (eBook)
9783960876656
ISBN (Paperback)
9783960877660
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Oktober)
Schlagworte
Hund-e-tier-roman-e Mops-Krimi-Roman-e humor-volle-r-roman-e Cosy Crime Hunde-Krimi Karl Lagerfeld Frauenkrimi

Autoren

  • Audrey Teddington (Autor:in)

  • Thomas Kowa (Autor:in)

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Titel: Mode, Mops und Moneten